Somatic Experiencing

Somatic Experiencing (SE), nach Peter Levine

SE ist eine Form der Traumaarbeit, die sich mit dem vegetativen Nervensystem beschäftigt.

Unser Körper und unser Nervensystem, unser ganzes Sein, reagieren auf ein überwältigendes, aus unserer Kontrolle geratenes Ereignis mit uralten Schutzreaktionen wie Wegrennen, Kämpfen oder Shutdown, um nichts mehr zu spüren.

Unser Nervensystem funktioniert hier wie bei Tieren: habe ich Angst, Stress oder spüre Bedrohung, fährt unser Nervensystem hoch, wird erst wachsam und angespannt, und wenn wirklich etwas ist, will es rennen, fliehen oder zuschlagen, sich schützen.

Falls all diese Reaktionen des einen Teils des autonomen Nervensystems (dem Sympathikus) uns nicht gerettet haben, fährt der andere hoch, der dorsale Teil des Vagus-Nervs, eines wichtigen Teil des Parasympathikus. Er lässt uns erstarren, nichts mehr spüren. Wie eine Antilope, die dem Löwen nicht mehr entfliehen kann und der das eigene Nervensystem einen gnädigen Schleier über ihren unabänderlichen Tod legt. 

Ausser der Löwe wird abgelenkt, eine Hyäne, die ihn stört, oder er ist selber in Gefahr und sucht das Weite. Dann kann das Tier aus der Schreckensstarre erwachen. 

Die Antilope schüttelt sich, zittert, und dann rennt sie, um das Adrenalin in ihren Blutbahnen loszuwerden. Wenn sie damit fertig ist, kann sie zu ihrer Herde zurück und in aller Gelassenheit mit ihr grasen (ventraler Vagus). Wird sie beim Erwachen aus der Starre nicht gestört, bleiben keinerlei Beeinträchtigungen wie nervöses Verhalten, verzögerte Reaktionsfähigkeit oder Unruhe zurück. Die Antilope ist genau so wie die anderen, ihr Verhalten so mühelos und instinktiv wie das der Antilopen, die nicht fast von einem Löwen gefressen wurden. (siehe auch: „Polyvagale Theorie“ von Steven Porges oder Peter Levin, “Sprache ohne Worte”)

Wir funktionieren genauso. Nur ist unser Leben nicht mehr ganz so natürlich und einfach, wie das der Antilope. Wir können nicht immer rennen, wenn wir Adrenalin im Blut haben.

Situationen, die im heutigen leben Stress auslösen: 

  • Der bedrückende, monatelange Stress, weil uns der Chef auf dem Kicker hat,

  • nach einem Unfall, der uns in Sekundenbruchteilen aus unserem Leben gerissen hat, und wir uns im Krankenwagen wiederfinden oder

  • als Kind, wenn uns Situationen überwältigt oder lang anhaltend geschwächt und verunsichert haben.

  • der Verlust eines Menschen, der Arbeit, ein ungewollter Umzug, plötzliche körperliche Einschränkungen, etc.

Manchmal lässt uns die Situation auch einfach keine Zeit, zu reagieren, und wir bleiben stecken im gelähmten Zustand. Dann entsteht Trauma: erst, wenn unsere natürlichen, autonomen Reaktionen verhindert, unterbrochen oder unterdrückt werden oder schlicht nichts nützen.

Dann kommt die Überwältigung, die Ohnmacht, dieser Situation ausgeliefert zu sein. Also nicht die Situation selbst ist das Trauma, sondern erst, wenn wir uns ohn-mächtig fühlen und unsere Strategien nichts nützen, kann daraus Trauma entstehen, das uns im weiteren Leben behindern oder einschränken kann, sich in körperlichen und/oder psychischen Beschwerden zeigt.

SE arbeitet mit diesen körperlichen Reaktionen, dem autonomen Nervensystem, und sucht über den Körper, unsere unterbewussten Erinnerungen, die sich in Gefühlen, in unwillkürlichen Bewegungen (wie Zittern oder Zucken), Bildern, Gedanken oder Körperwahrnehmungen zeigen können.Der/die TherapeutIn unterstützt den Klienten/die Klientin, diese Reaktionen zuzulassen, zu lösen, Schutzreaktionen zu vollziehen oder zu beenden, Gefühlen zu folgen und wieder in die Selbst-Ermächtigung zu kommen.

Es gilt, dem eigene Erleben und Reagieren auf die Spur zu kommen. Was habe ich in dieser Situation gefühlt, gedacht, gewollt? 

Manchmal verknüpfen wir Dinge und Gefühle ganz eigen, und es gilt, dies zu finden und die ganz eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu entdecken. Vielleicht ist es ein Arm, der mein Gesicht schützen möchte, oder ein Gefühl, dessen wir uns gar nicht bewusst waren, verknüpft mit einem Ereignis/Ding/Person, die, entdeckt, eine ganze Kettenreaktion von Gefühlen, Gedanken, Empfindungen und Reaktionen auslösen kann, die uns wiederum zum Abschluss führen und somit zur Verarbeitung des Erlebten.

SE arbeitet nicht, indem es in die Geschichte geht, alles noch einmal erlebt. Es geht um unsere Reaktionen, unser Erleben in der Situation, und sie werden in ganz kleinen Häppchen berührt, mit viel Sicherheit und klarem Sein im Hier&Jetzt, sodass die Situation nicht wiederholt wird.Im Gegenteil, es geht darum, zu erleben, dass mit mehr Zeit, mehr Sicherheit und Unterstützung und nur ein wenig Aktivierung das eigene System weiss, was es tun will und dies auch kann.

Ich arbeite viel über Körperwahrnehmung, aber auch mit Übungen und dem Gespräch, das immer wieder den Weg ins Verknüpfen mit Wahrnehmung und Bedürfnissen nimmt.

SE half und hilft mir selbst,  kleine Teile von mir selbst wieder am richtigen Platz einzufügen und ganzer zu werden.

Es ist eine feine, ruhige, achtsame Arbeit, die nicht nach Katharsis sucht, sondern nach sicherem Erforschen und Wahrnehmen, sodass wir selber, in unserem eigenen Tempo und mit allen unseren Sinnen, den Weg zu mehr Ganz-Sein gehen können.